Lindenholz, geschnitzt und vergoldet

Potsdam, um 1740/45

Nach einem Entwurf von Johann August Nahl d. Ä. (Berlin 1710-1785 Kassel)
Höhe: 102 cm, Breite: 91 cm, Tiefe 58 cm

Detailbeschreibung

 

Der große und repräsentative Armlehnstuhl erhebt sich über vier niedrigen, nach außen geschwungenen Beinen, die ohne sichtbaren konstruktiven Übergang in die seitlichen Zargen übergehen. Ebenso verschleifend leitet die elegante Linie der Lehnen zur rundförmigen Rahmung der Rückenlehne über. Die geschnitzte und vergoldete Sitzkonstruktion setzt sich aus Stilelementen des Rokoko zusammen: Blüten, Blattwerk und die unverzichtbare Rocaille dienen der Dekoration dieses höfischen Möbels.

Der Entwurf für den Potsdamer Fauteuil geht auf den Bildhauer Johann August Nahl zurück. Dieser lernte zunächst bei seinem Vater, um dann durch Reisen nach Frankreich, Italien und einem Aufenthalt in Straßburg (1735), wo er bei der Ausstattung des Palais Rohan beschäftigt war, weitere Erfahrungen zu sammeln. 1741 wieder in Berlin und Potsdam, wurde Nahl zum Directeur des Ornements ernannt. In seiner Zeit galt er als maßgeblicher künstlerischer Kopf für die Innenausstattung der Räume und die Gestaltung der Möbel.

Der Sessel fand sehr wahrscheinlich Aufstellung im heute zerstörten Potsdamer Stadtschloß. Seit 1740 residierte der preußische König Friedrich II. in der nahe Berlin gelegenen Stadt. Sein leidenschaftliches Engagement für die Baukunst gleich zu Beginn der Regentschaft führte zu Planungen mit seinem Architekten von Knobelsdorff für zahlreiche Neu- und Umbauten seiner neuen Residenz, die er prächtig auszustatten gedachte. Diese Bauvorhaben zählen zu den Glanzleistungen deutscher Kunst des 18. Jahrhunderts und bilden gleichzeitig den Abschluß der absolutistisch-höfischen Kunst. Der als friderizianisches Rokoko benannte Ausstattungs- und Möbelstil ist maßgeblich durch Friedrich den Großen selbst geprägt worden, so daß dem jeweiligen Künstler nur relativ wenig Spielraum für eigene Interpretationen blieb. Neben von Knobelsdorff waren es Nahl und die Gebrüder Hoppenhaupt, welche die Entwürfe für die Innenausstattung und das bewegliche Schloßinventar schufen.

Ehemals aus dem königlichen Schlafzimmer im Stadtschloß Potsdam stammend und heute im Neuen Palais im Park Sanssouci befindlich, hat sich ein Armlehnstuhl erhalten, dessen Entwurf auf Johann August Nahl zurückgeht. Dieser nur wenig schmalere Sessel verfügt über Charakteristika, die mit dem Sessel der Galerie Neuse eindeutig korrespondieren. Die
niedrigen nach außen gewendeten Beine und die Führung der Armlehen sind so grundsätzliche Übereinstimmungen, daß beide einen gemeinsamen Entwurf voraussetzen. Die Ausführung des geschnitzten Dekors ist jedoch zurückhaltender, die Umrisse sind ruhiger, die Form bestimmt das Ornament.

Dem Potsdamer Armlehnsessel kommt auch als Dokument für das Zeitalter des Merkantilismus ein wichtiger Stellenwert zu. Der preußische König verband persönliche Prachtentfaltung und künstlerischen Anspruch mit dem Aspekt der „Wirtschaftsförderung". Die deutsche Variante des Merkantilismus setzte gegenüber Frankreich erst später ein. Die zentrale Förderung galt dem Binnenhandel, welchen in Deutschland besonders erfolgreich Preußen unter Friedrich II. vorangetrieben wurde. Dieses indirekte Mäzenatentum ist ein letzter großer Höhepunkt königlicher Prachtentfaltung.

Der große Seltenheitswert und der gute Erhaltungszustand des Stückes sind weitere hochwertige Merkmale, die dieses Möbel zu einem bedeutenden Zeugnis des friderizianischen Raumstiles machen.

Literatur:

  • Heinrich Kreisel, Die Kunst des deutschen Möbels, Bd. II Spätbarock und Rokoko, München 1970, S. 233- 242.
  • Ausstellungskatalog, Friedrich der Große, Sammler und Mäzen, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München 1993, S. 330-336.